Wir würden nie zum FC Bayern gehen: Wieso Mario Götze mein Leben zerstört hat

Manchmal wünsche ich mir, Mario Götze hätte im Weltmeisterschaftsfinale in der 113. Minute neben das argentinische Tor geschossen. Deutschland wäre dann vielleicht nicht Weltmeister geworden. Aber unsere achtjährige Tochter würde sich jetzt eben auch kein Trikot des FC Bayern München wünschen. Das wäre es mir wert gewesen.

Ich habe das WM-Endspiel mit unserer Tochter in einem kleinen Dorf auf einer Nordseeinsel gesehen. Wir hatten keinen Fernseher im Hotel und setzten uns in die einzige Kneipe weit und breit. In der 113. Minute lagen wir uns in den Armen, anschließend radelten wir bei Regen und Sturm in der dunkelsten Nacht nach Hause. Mario Götze hatte uns glücklich gemacht.

Nun aber weiß ich, dass Mario Götze mein Leben zerstört hat. Seit diesem Tag schwärmt unsere Tochter für den Bayern-Stürmer, weil er ein wunderbarer Fußballer ist und achtjährige Mädchen junge Männer mit Babyspeck offensichtlich süß finden. Wegen ihm wurde unsere Tochter zum Fan des Rekordmeisters. Sie hat sogar eine Zahnspange mit dem Emblem des FC Bayern. Sie trägt ihren Lieblingsverein auf der Zunge. Es gibt nicht viele Dinge, die schlimmer sind, als wenn das eigene Kind Bayern-Fan wird. Vielleicht wird unsere Tochter irgendwann einmal mit einem kiffenden Nazi nach Hause kommen und sagen: „Das ist mein neuer Freund.“ Womöglich wünscht sie sich mit 15 ein Ganzkörper-Tattoo. Das Gute ist, dass Mario Götze so ziemlich der einzige Profi-Fußballer auf der Welt ist, der noch nicht an irgendeinem Körperteil beschriftet ist. Trotzdem.

„Den Bayern den Sieg zu wünschen, ist ähnlich abscheulich, als bräche man angesichts eines verhungernden Menschen in Jubel aus“, schrieb einmal der Schriftsteller Wiglaf Droste. „Bayern München ist das dreckige Lachen der Reichen über anderer Leute Armut und Elend.“ Das klingt nach schlecht gelaunter Besserwisser-Kritik von vorgestern, ist aber trotzdem nicht ganz falsch. Das Bayern München von heute mag der beste Verein der Welt sein, den aufregendsten Fußball aber lässt Jürgen Klopp spielen. Und die nachhaltigste Nachwuchsarbeit wird in neureichen Vereinen wie Hoffenheim und Leipzig gemacht, aber nicht an der Säbener Straße. Wieso soll man Anhänger eines Vereins sein, der Woche für Woche sowieso gewinnt?

Ich wurde Anfang der 80er-Jahre fußballerisch sozialisiert. Ich hätte Fan des FC Bayern werden können, der schon damals so ziemlich alles gewann, oder auch Anhänger des Hamburger SV, der sogar ein Kopfballungeheuer als Mittelstürmer in seinen Reihen hatte. Aber dieser Horst Hrubesch gab damals in einem Fragebogen Erbsensuppe als Lieblingsessen an. Und ich wollte nicht für jemanden schwärmen, der Erbsensuppe mochte. So wurde Pierre Littbarski mein Idol und der 1. FC Köln mein Verein. Ich hatte damals X-Beine, musste Einlagen tragen und hätte alles dafür gegeben, mit Littis O-Beinen übers Feld zu dribbeln.

Als Fan des 1. FC Köln konnte ich in all den Jahren nur einen einzigen Titel bejubeln: den DFB-Pokalsieg 1983, der auch noch ein sehr schmeichelhaftes 1:0 gegen den Lokalrivalen und Zweitligisten Fortuna war. Als der FC unter Christoph Daum 1989 den legendären Zweikampf mit Bayern München um die Meisterschaft verlor, wollte ich eigentlich nie mehr aufstehen. Beim ersten Bundesliga-Abstieg habe ich geweint, bei den vier folgenden nicht mehr so richtig. Ich habe sogar wichtige Termine abgesagt, um das Montagsspiel der zweiten Liga gegen Klubs wie SV Sandhausen zu sehen. Und ich habe nur noch mit dem Kopf geschüttelt, als eine ewig gestrige Vereinsführung wieder mal Millionenschulden anhäufte.

Aber ich habe viel gelernt in all den Jahren mit meinem Verein: Auch Verlierer können Gewinner sein. Man kann immer wieder aufstehen. Es gibt Wichtigeres als ein 1:0. Was aber soll unsere Tochter vom FC Bayern lernen? Dass man sich alles kaufen kann im Leben (sogar einen unbekannten marokkanischen Verteidiger für 26 Millionen Euro, wenn ein anderer Spieler gerade ausgefallen ist)? Dass man am besten die Spieler des ärgsten Konkurrenten verpflichtet, um den anderen Verein zu schwächen? Dass man Tiere industriell umbringt, um Millionen zu scheffeln? Dass man diese Millionen anschließend in der Schweiz versteckt?

Ich weiß nicht, ob unsere Tochter all das versteht. Deshalb wollte ich ihr den Anti-Bayern-Song der Toten Hosen vorspielen, in dem es heißt: „Ich würde nie zum FC Bayern gehen. Was für Eltern muss man haben, um so verdorben zu sein, einen Vertrag zu unterschreiben bei diesem Scheißverein?“ Aber nachher hört unsere Tochter noch die Musik der Toten Hosen. Das wäre auch kein einfaches Schicksal. Ich habe das mit dem Bayern-Song gelassen.

Dafür habe ich ihr einen Zeitungsartikel vorgelesen, in dem es um Marco Reus geht, der seinen Heimatverein Borussia Dortmund zum Saisonende für den Schnäppchenpreis von 30 Millionen Euro verlassen kann, und Bayerns Vorstandsboss Karl-Heinz Rummenigge, der dieses Schnäppchen für „interessant“ findet, was „in Dortmund jetzt aber nicht für Unruhe sorgen soll“, wie er sagt. Das ist, als würde man unserer Tochter sagen: „Draußen vor der Tür steht ein blutrünstiges Monster. Du musst keine Angst haben.“ Manchmal haben sie in München einen sehr seltsamen Humor.

Reus soll in München zwölf Millionen Euro im Jahr verdienen – noch mehr als Mario Götze. Der Artikel ist überschrieben mit dem Titel: „Geld oder Liebe“. Als unsere Tochter das hörte, sagte sie: „Papa, Liebe ist doch viel wichtiger als Geld.“ Manchmal ist das Leben so einfach.

4 Kommentare zu “Wir würden nie zum FC Bayern gehen: Wieso Mario Götze mein Leben zerstört hat

  1. Torsten sagt:

    Ich lasse einen lieben Gruß an die Tochter hier. Mia san Mia. Verzeih Deinem Vater seinen schlechten Geschmack. Er kann ja nichts dafür. Er ist Köln-Fan geworden, weil er X-Beine hatte. Konnte er ja nix für. 😉

  2. jeb sagt:

    Das Bauern fan’s diesen Beitrag natürlich mal wieder nicht verstehen ist ebenso traurig wie klar.

  3. Wortman sagt:

    Die Jungs vom FC Bayern verstehen auch nie etwas 😆
    Sei beruhigt, das vergeht wieder… deine tochter wird von alleine wieder normal 😀

  4. kirsten sagt:

    Einmal bayern immer bayern

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